"Trainer kommen, Trainer gehen"

12.11.2013 19:35

Eigentlich war doch alles wie gewohnt am Millerntor: Die Höllenglocken erklangen und die Mannschaften betraten das Spielfeld. Die Kulisse bereitete einem ein Gänsehautgefühl, die wehenden Fahnen der Pauli-Fans begrüßten ihr Team. Der Schiedsrichter bat die beiden Kapitäne zur Seitenwahl, das Spiel wurde angepfiffen. Auf der Trainerbank saß ein glatzköpfiger Mann, der seinen kahlen Kopf versuchte, mit einer St. Pauli-Mütze zu wärmen. Also alles wie gehabt – oder etwa nicht?

Nicht ganz: Es war nicht mehr Michael Frontzeck, der an der Seitenlinie stand und Anweisungen gab. Er hatte vor fast einer Woche seine Koffer gepackt.

Als der Stadionsprecher Roland Vrabec als neuen Trainer bei der Mannschaftsaufstellung aufrief, gab es vereinzelte Pfiffe, teilweise verhaltenen Applaus. Das Stadion war ungewöhnlich ruhig und eine richtige Reaktion der Fans blieb aus. „Trainer kommen, Trainer gehen“ stand auf einem Spruchband im Pauli-Block. Obwohl Michael Frontzeck ein beliebter Coach war, nahm man die Entscheidung des Vorstands so hin. Was blieb ihnen auch anderes übrig, auch die Fans wussten, dass Unruhe ihre Mannschaft nicht weiterbringt.

Nicht nur der FC St. Pauli hatte seinen Trainer entlassen, auch die Gäste vom FC Energie Cottbus waren durch Stephan Schmidt auf dieser Position neu besetzt. Die Verunsicherung war beiden Teams zu Beginn deutlich anzumerken. Das von Neu-Trainer Vrabec angekündigte Feuerwerk, das die Paulianer in den ersten 15 Minuten auf dem Platz abfackeln wollten, blieb aus. Einzig die Fans brannten auf den Rängen Wunderkerzen ab – das war’s aber auch schon. Bis zur 35. Minute dauerte es, bis der überragende Mann des Spiels, Fin Bartels, die Kiez-Kicker in Führung brachte. Nach erneuten Zweifeln anfangs der zweiten Halbzeit brannten die Paulianer dann doch das versprochene Feuerwerk ab: Sebastian Schachten (70.) und Markus Thorandt (73.) machten den 3:0-Sieg gegen Energie klar. Die Hanseaten waren seit drei Pflichtspielen torlos gegen die Lausitzer geblieben, nun beendeten sie die Misere. Ganz im Gegenteil zu den Gästen: Cottbus ist jetzt schon seit 459 Minuten ohne eigenen Torerfolg und konnte keines der letzten 13 Auswärtsspiele gewinnen. Damit sind sie Tabellenschlusslicht.

Der Einstand des ehemaligen Co-Trainers Vrabec war gelungen. "Ein Debüt mit solch einem Spiel ist überwältigend", sagte er. Jetzt gilt es für ihn, seine Chance zu nutzen, die ihm Manager Rachid Azzouzi in Aussicht stellte: „Roland wird bis zur Winterpause definitiv bleiben. Ich schließe nicht aus, dass er bei guter Zusammenarbeit auch länger bleibt. Er hat jetzt erst einmal fünf Spiele Zeit.“ Fünf Spiele, um sich als potentiellen Frontzeck-Nachfolger zu beweisen.

Ansonsten hat sich auch Ex-Pauli-Spieler Marius Ebbers für den Trainerposten angeboten. Auf Facebook verkündete er ironisch: „Wollte mir sowieso gerade ne‘ Glatze rasieren lassen!“ Vrabec ist nun der vierte glatzköpfige Trainer in Folge.

Trotzdem blieb das Gefühl nicht aus, dass der FC St. Pauli ein abgekartetes Spiel spielte: Egal, wo Azzouzi gefragt wurde – ob auf der Pressekonferenz, im NDR Sportclub oder in der Mixed-Zone – es blieben stets die gleichen Antworten. Wie auswendig gelernt, spielte er seine Platte ab. Was sich mit Michael Frontzeck wirklich abgespielt hat, behält der Verein wohl für sich. Auf die Frage an Vrabec, wie die Mannschaft auf ihn reagiert habe, gab es ebenfalls die erwartete Antwort: „Die Spieler sind Angestellte des Vereins, sie müssen das so akzeptieren.“

Auch unter den Spielern wusste man, was man zu sagen hat: „Wir kennen Roland seit dem Sommer. Er hat vorher schon viel Trainingsarbeit übernommen. Der Unterschied ist, dass er nun die finalen Entscheidungen trifft“, sagte Florian Kringe. Jeder nahm also die Entscheidung so hin, dass aus dem Nichts ein Trainer entlassen wurde, nur weil er den Vertrag verlängern wollte.

Nach dem Schlusspfiff bildeten alle Pauli-Spieler einen Mannschaftskreis. Ihr neuer Trainer war zwar mit dabei, nahm aber eine außenstehende Rolle ein. „Trainer kommen, Trainer gehen“. Das bewies auch St. Pauli mit dem Sieg.

 

Von: Annabell Behrmann