Vom Vergessenen zum Matchwinner

04.12.2013 17:30

Tonnen schwere Sandsäcke fielen von seinen Schultern. Den Ärger der letzten Monate machte er mit einem einzigen Tor vergessen: Die 85. Spielminute brach an. Mittlerweile hatte sich das Achtelfinale zwischen dem Hamburger SV und dem 1. FC Köln zu einem richtigen Pokalfight entwickelt. Es stand 1:1 und auf den Rängen holte sich manch einer schon einen warmen Glühwein für die Verlängerung. Dann kam die Erlösung. Ein abgefälschter Ball landete direkt vor den Füßen von Ivo Ilicevic, der eiskalt verwandelte.

Rückblende: Im Sommer 2011 holte der HSV den Kroaten für vier Millionen Euro aus Kaiserslautern an die Elbe. Doch wirklich ausgezahlt hatte sich der Einkauf bisher nicht. Zahlreiche Verletzungen verhinderten seine Einsätze. Gerade kurierte der Kroate eine Läsion aus, da folgte schon die nächste. Von Muskelfaserriss bis Bauchmuskelzerrung – gefühlt ließ Ilicevic keine Verletzung aus. Nur bei 31 von möglichen 78 Ligaspielen stand der 27-Jährige auf dem Platz für die Hanseaten. Hinzu kam eine magere Ausbeute von drei Treffern.

„Es war eine schwere Zeit und vor allem eine lange – fast 2 Jahre war ich nicht richtig fit“, blickte Ilicevic nach dem Spiel gegen Köln etwas nachdenklich auf die vergangene Zeit zurück. Er war schon fast in der Versenkung gelandet. Sein Name war kein Thema mehr in Hamburg. Ein Wechsel schien das einzig Logische zu sein. Doch Ilicevic blieb und erzielte den entscheidenden Treffer kurz nach seiner Einwechslung (75.) zum 2:1-Sieg. So schnell kann es gehen, vom Vergessenen zum Matchwinner des Spiels zu werden.

„Ich bin froh, dass wir eine Runde weitergekommen sind und ich der Mannschaft helfen konnte“, sagte der Torschütze fast lässig über das Weiterkommen. Aber für den Verein war es eine ernste Angelegenheit: Der HSV schaffte es das erste Mal seit vier Jahren wieder über ein Achtelfinale hinaus. Alleine der Einzug ins Viertelfinale bescherte der Elf von Bert van Marwijk 1,2 Millionen Euro, hinzukommen Ticketeinnahmen und ein mögliches Livespiel. Ilicevic sorgte mit diesem Tor also ein Stück weit selber dafür, dass die in ihn investierten Millionen endlich aufgefüllt werden auf dem chronisch leeren HSV-Konto.

Das Spiel war sein Millionen-Erlös über lange Strecken aber nicht wert und bot sportliche Magerkost: Viele Ballverluste, fehlende Ideen nach vorne und vergebene Großchancen standen auf der Liste beider Teams, an denen sie arbeiten sollten. Der HSV kann von Glück reden, nicht gegen den Zweitligisten ausgeschieden zu sein. „Das war kein gutes Spiel heute“, musste auch Ilicevic zugeben, „aber das kann uns egal sein.“ Der HSV ging durch Maximilian Beister kurz vor der Pause in Führung (42.), kassierte schnell nach Wiederanpfiff den Ausgleichtreffer von Adam Matuschyk (53.) und rettete sich vor der Blamage Dank Ivo Ilicevics Siegtor (85.).

Ist der Knoten beim 1,74 cm kleinen Kroaten jetzt geplatzt? „Heute habe ich es besser gemacht als in Wolfsburg. Im Endeffekt ist es mir nun egal, was in Wolfsburg war.“ Am vergangenen Freitag spielte der HSV in der Bundesliga gegen den VfL. Auch da hatte Ilicevic den Siegtreffer zum 2:1 auf dem Fuß, doch traf nur die Latte. Das Quäntchen Glück fehlte ihm - wie so oft in letzter Zeit. Die Verzweiflung brannte sich immer tiefer ein. Jetzt kam der Befreiungsschlag.

Ein Grund dafür ist, dass Trainer Bert van Marwijk ihm immer wieder sein Vertrauen schenkte. Zwar übernimmt Ilicevic momentan noch die Jokerrolle, die Parallelen zwischen dem Trainerwechsel und dem Aufstieg des Kroatens lassen sich aber kaum leugnen. Diese Tatsache ist ihm bewusst, das verriet sein schelmisches Lächeln. „Unter dem neuen Trainer haben wir gute Leistung gebracht. Er macht seine Sache gut.“ Er ist glücklich unter Bert van Marwijk. Alles andere ist reine Interpretationssache, aber die Parallelen bleiben. Sein neuer Trainer hält jedenfalls viel von ihm. „Er ist ein großes Talent“, sagte van Marwijk im Anschluss des Pokal-Spiels.

Für den HSV geht es in Richtung Viertelfinale und der Traum vom Finale in Berlin darf weiter geträumt werden. Vor der Partie sind die Hamburger in der DFB-Pokal-Historie drei Mal gegen den 1. FC Köln rausgeflogen. Lediglich einmal kamen die Hanseaten in der Saison 1966/67 weiter. Damals sind sie bis ins Finale gekommen, kassierten dann eine 0:4-Klatsche vom FC Bayern München. Auf die Frage nach einem Wunschgegner wusste Ivo Ilicevic nur eines: „Ich hoffe nicht, dass es Bayern ist. Bayern ist zurzeit fast schon unschlagbar. Aber wir hoffen natürlich wieder auf ein Heimspiel.“ Am kommenden Sonntag in der ARD Sportschau um 18 Uhr werden die Viertelfinal-Begegnungen ausgelost.

 

Von Annabell Behrmann